Berlin, Superbooth ’24, Teil 2

In diesem Blog-Beitrag berichte ich über meinen Besuch der Superbooth ’24 in Berlin. Und ich teile meine Gedanken zu elektronischer Musik und deren Produktion.

Im ersten Teil dieses Beitrages [LINK] habe ich über die Fahrt nach Berlin geschrieben. Außerdem berichtete ich von meiner These, dass die Entwicklung der elektronischen »Instrumente / Produktionsmöglichkeiten« (immer vielseitiger / außergewöhnlicher) sich nicht entsprechend in der populären Nutzung widerspiegelt.

(M)eine These

Das ist natürlich erst einmal nur eine These. Wie kann ich sie überprüfen? Nach kurzer Recherche im Netz wird klar, dass der aktuelle Musikkonsum quantitativ hauptsächlich über Online-Angebote / Streamingdienste stattfindet. Also habe ich einmal geschaut (bzw. gehört!), wie die „erfolgreichste“ Musik aktuell klingt – bzw. wie dort elektronische Musik eingesetzt wird.

Spotif*YOU!

Also: Spotify geöffnet (ja, ich bin Nutzer und Kritiker dieses Streamingdienstes – anderes Thema!) und einmal die „Top X“-Playlists angehört. Zum Beispiel im Bereich „POP“ die Playlist „TOP 50 – Global“. Das sollte ja für einen guten (und weiten) Überblick sorgen. Ohne nun eine qualitative Wertung abgeben zu wollen (wie sollte das auch funktionieren?) kann ich Folgendes zu den Tracks feststellen:

  1. Viele Tracks wurden eindeutig im Stil einer bestimmten Musikepoche produziert. Die klingen so, als seien sie in den 60er, 70er oder (sehr häufig!) 80er Jahren entstanden.
  2. Die Instrumentierung ist sehr konventionell – nur selten wird ein außergewöhnliches musikalisches Element verwendet.
  3. Auffällig ist, dass extrem viel Musik „recycelt“ angeboten wird: als älterer Mensch erkenne ich leider sehr oft, dass der „neue“ Track verdächtig ähnlich wie ein mir bekanntes älteres Musikstück klingt. Außerdem taucht „alte“ Musik – mehr oder weniger musikalisch verwurstet – als sogenannte „Remixe“ auf.

OK, jetzt kann man ja sagen:

„Wenn Du außergewöhnliche elektronische Musik suchst, darfst Du Dir keine POP-Listen anhören!“

Guter Einwand. Aber ich wollte ja erkunden, ob in der populären Musik außergewöhnliche elektronische Musik auftaucht bzw. mittlerweile angekommen ist. Denn: elektronische Musik ist ja schon sehr alt. Das „Theremin“ als Beispiel eines elektronischen Instrumentes ist ungefähr so alt wie die elektrische Gitarre. Und wann hört man im täglichen Leben Musik, in dem ein Theremin gespielt wird? Eben!

Dance/Electronic

Gut, dann höre ich mal in die Charts des Genres „Dance / Electronic“. In dem Namen steckt ja immerhin „Electronic“. Und hier werde ich natürlich fündig. Zumindest die schiere Präsenz von elektronischen Elementen in dieser Musik ist ja unbestreitbar. Wenn ich aber auf den speziellen Aspekt schaue, der mich thematisch in diesem Blog-Beitrag beschäftigt, muss ich aber selbst innerhalb dieses Genres gut suchen, um wirklich außergewöhnliche, elektronische Elemente zu identifizieren!

Was hat der Mann?

Ich vermisse nicht generell elektronisch klingende Elemente – die sind mittlerweile reichlich zu hören. Aber wirklich innovative Klänge, bei denen ich mental die Augenbrauen hebe und mir bewusst wird, dass ich gerade etwas Besonderes in der Musik gehört habe: DAS vermisse ich!

Eine Ahnung

Bevor ich hier meine Theorie beschreibe, warum das – meiner Meinung nach – so ist, sollte ich aber vielleicht noch erzählen, wie es mir auf der Superbooth ’24 ergangen ist! Denn das ist ja der zweite Aspekt dieses zweiteiligen Blog-Beitrages.

Ja, und an diesem Punkt gerate ich ins Schwärmen! Die Stimmung an diesem Tag und an diesem Ort war aufregend und friedlich zugleich: an jeder Ecke, an jedem Stand unterhielten sich Menschen, die eines spürbar gemeinsam hatten: eine innige Leidenschaft für Musik! Sicher: an den Ständen der Soft- und Hardware-Hersteller und -Vertriebe ging es letztlich ums Geschäft. Aber der Austausch – fast immer in mehr oder weniger einwandfreiem Englisch – war immer respektvoll, engagiert, motiviert – und oft genug auch sehr humorvoll!

Eine ganz besondere „Bubble“

Wie eine verschworene Gemeinschaft fühlten sich alle Beteiligten als Teil des weltweiten Netzes von Musikbegeisterten. Außerstehende hätten bei manchen Gesprächen nicht den Hauch einer Ahnung gehabt, was überhaupt das Gesprächsthema ist! Aber gerade diese Insider-Gespräche waren es, die – fühlbar allen Beteiligten! – extrem viel Spaß gemacht haben!

Spielplatz für Musikschaffende

Natürlich habe auch ich viele Gespräche geführt. Und ich habe die Chancen genutzt, an eher „raren“ Geräten spielen zu können: im »Bungalowdorf« z. B. konnte ich zum ersten Mal ein Musikinstrument von „Haken Audio“ spielen (unter uns: ist nichts für mich!). Klar: ich kann hier nicht jede einzelne, besondere Situation beschreiben, die ich erleben durfte. Aber zwei Situationen möchte ich dennoch hervorheben:

Das Keyboard meiner Träume

Kurz vor Beginn dieses Events stellte die Firma Arturia ein neues Keyboard vor: »PolyBrute 12«. Das Besondere an diesem Stück Hardware ist die Einflussnahme, die ein Musiker damit während des Spiels auf den resultierenden Klang ausüben kann. Sowohl die Anzahl als auch die Art der Bedienelemente bieten – aktuell – sonst kein anderes Tasteninstrument!

Nur ein Beispiel: die schwarzen und weißen Tasten können (auch nachdem sie schon heruntergedrückt wurden) noch einmal etwas stärker gedrückt werden – und die Klangerzeugung registriert dieses nachträgliche Drücken. Und zwar für jede einzelne Taste des gesamten Keyboards getrennt. Das kann kein Klavier und auch kein anderes Tasteninstrument (Insider: Geduld! Ich erwähne gleich die Ausnahmen!).

Doch damit nicht genug, können die Tasten auch noch nach links und rechts „verschoben“ werden – auch hier gilt: Die Klangerzeugung reagiert darauf für jede einzelne Taste getrennt! Das ist am besten vergleichbar mit einer Gitarre, bei der die musizierende Person nach dem Anschlagen der Saiten eine einzelne Saite auf dem Steg verschiebt und damit den Ton leicht anhebt.

Insider werden nun anmerken: das können die Seaboards von ROLI auch! Das weiß ich – schließlich habe ich auch seit Jahren ein Seaboard Rise 25 von ROLI. Allerdings sind bei diesen Geräten die Spielflächen keine Tasten, sondern eher gummiartige Flächen.

Und das Osmose von Expressive E?

Ja, auch dieses tolle Instrument beherrscht viele der oben erwähnten „Tricks“. Und es hat – im Gegensatz zu den Seaboards von ROLI – richtige Tasten! Aber Arturias „Polybrute 12“ hat auch noch viele Features mehr:

  1. Eine mehrdimensional spielbare, berührungsempfindliche Fläche neben der Tastatur (mit dem griffigen Namen „Morphée touch and pressure sensitive 3D controller“)
  2. Eine sehr lange (über zwei Oktaven erstreckende) »Rille« direkt über der Tastatur („Ribbon controller“ genannt)

Und mit diesen zusätzlichen, außergewöhnlichen Bedienelementen – Modulationsrad und Pitch-Bending-Wheel sind selbstverständlich ebenfalls an Board – kann der Klang durch Streichen, Berühren, Drücken, Ziehen und Tippen beim Spielen und ich „Echtzeit“ beeinflusst werden – nach Belieben: nuanciert oder brachial! Woher ich das weiß?

Ich habe ihn gespielt!

Ja, das war tatsächlich eines meiner zwei persönlichen Highlights dieses Events: Ich konnte ungestört ca. 15 Minuten an diesem tollen Keyboard herumspielen. Sehr beeindruckend! Bemerkenswert ist auch, dass Arturia an ihrem Stand zu regelmäßig stattfindenden Vorführungen kabellose Kopfhörer verteilte: so konnten die Zuschauer in einer angemessenen Qualität die Sound-Vorführungen genießen – tolle Idee und Umsetzung, Arturia!

Den kenne ich doch!

Natürlich bin ich an den Ständen und auf dem gesamten Gelände immer mal wieder mit Gleichgesinnten ins Gespräch gekommen. Witzig fand ich auch, das ich mehrmals kurz vor dem Grüßen eines Menschen stand – und es dann doch nicht gemacht habe! Denn mir wurde plötzlich bewußt, dass mir dieses Gesicht zwar sehr bekannt vorkam. Ich hatte es schon oft und lange angeschaut. Aber die Person hätte MICH bestimmt nicht erkennen können: es waren die Personen, die ich aus einschlägigen YouTube-Kanälen kannte! 😂

Einen alten Bekannten habe ich dann aber doch getroffen: meine erste Drummachine! Die KORG KPR-77 – ein zu recht in Vergessenheit geratenes Stück Musikelektronik (die ich später gegen den Programmer für mein Keyboard ROLAND JX-3P eingetauscht habe):

Der Typ mit dem Hut!

Mein zweites persönliches Highlight war die Begegnung mit Andreas Schneider. Das war so: In einem Raum im FEZ-Gebäudekomplex kam mir schon wieder ein Mann bekannt vor. Den kannte ich aber nicht aus einem YouTube-Kanal. Den hatte ich zur Vorbereitung des Event-Besuches in einem Interview auf der Musikplattform Amazona gesehen. Konnte das wirklich DER Herr Schneider sein? Der Erfinder und Organisator des Superbooth? Und: wäre das nicht eine tolle Gelegenheit, ein Selfie mit dieser berühmten Person zu machen? Das wäre zwar mein erstes derartiges Selfie meines Lebens – aber: was soll’s?

Entschuldigung …

Ich wartete, dass dieser Mann sein Gespräch beendet hatte, ging auf ihn zu und fragte: „Entschuldigung, sind Sie Herr Schneider? Der Organisator von dem Ganzen hier?“ Er guckte mich an, lächelte und hielt mir seine Hand hin: „Andreas! Ja, der bin ich.“ „Darf ich ein Selfie machen? Ist mein erstes …“ „Ja klar!“ Und schon entstand mein erstes Selfie – schlechte Qualität aber tolles Erinnerungsstück:

Andreas Schneider und Christian Drab

Anschließend kamen wir ins Gespräch. Er konnte über viele verrückte Begebenheiten mit bekannten Musikern berichten, die er alle schon Dank seiner Tätigkeit im Bereich der elektronischen Musikinstrumente kennenlernen durfte. Es war ein sehr anregendes und interessantes Gespräch. Am Ende reichte er mir noch seine Visitenkarte und musste seinen Verpflichtungen nachgehen. Ich habe das Gespräch sehr genossen – vielen Dank, Andreas!

Echte Urlaubsgefühle

Den Tag verbrachte ich komplett auf diesem Gelände. Das Wetter war toll (sonnig, aber im baumreichen Gebiet sehr gut zu ertragen), für das leibliche Wohl war durch feste Einrichtungen und mobile Angebote (exotisches, super leckeres Essen und Trinken) gesorgt – ach, das war herrlich!

Alles hat ein Ende

Um noch am gleichen Tag wieder zurück in meiner Heimatstadt zu sein, löste ich mich schweren Herzens von diesem Event (es waren noch interessante Konzerte angekündigt) und begab mich wieder zur S-Bahn-Station.

Beim Warten auf die nächste S-Bahn in Richtung Bahnhof Berlin-Ost traf ich wieder auf zwei „Kollegen“, mit denen ich schon am Arturia-Stand ins Gespräch kam. Wir tauschten unsere Erfahrungen aus (die sich in vielen Entwicklungsstadien ähnelten!), ich stieg in die S-Bahn und trat meine Rückreise an. Auf Wiedersehen, Berlin:

Leider hatte ich vergessen, eine Powerbank mitzunehmen. Daher nutzte ich nur ab und zu mein Smartphone, um Bescheid zu geben, dass ich auf dem Rückweg bin …

Zurück zu meiner These

Auf dieser Messe wurde mir wieder bewußt, wie komplex und ausgefeilt moderne, elektronische Musikinstrumente sind.

Warum tauchen nicht viel mehr dieser abstrakten Klänge in der alltäglichen Musikbeschallung auf? Ich vermute, es liegt hauptsächlich an (Trommelwirbel!):

Konventionen!

Schalten wir unser Radio ein oder klicken wir den Streaming-Dienst unserer Wahl an, erwarten wir bei musikalischen Beiträgen Musik, wie wir sie gewohnt sind! Also: es sollte ein rhythmisches Element vorhanden sein, eine Melodie, die genau die „passenden“ Töne beinhaltet, eine Begleitung, die in der „passenden“ Harmonie das Ganze abrundet – kurz: ein Stück Musik, das uns gefällt! Diese Erwartung ist es, die verhindert, dass es mehr „ausgefallenere“ Musikstücke gibt! Wir würden uns wundern, wenn plötzlich ein Ton erklingen würde, der gar nicht zum aktuellen Akkord passt! Auch, wenn wir keine Ahnung von Harmonielehre haben, wurde unser musikalisches Empfinden so gut geprägt, dass wir „spüren“, wenn ein Ton passt. Und genau so einen erwarten wir!

Konsequenzen

So, wenn ich den werten Lesern und mir das nun endlich erklärt habe: welche Konsequenzen soll ich aus dieser Erkenntnis ziehen? Vielleicht diese hier: wenn ich wieder einmal Musik mache, sollte ich nicht so selbstkritisch und überanspruchsvoll auf ausgefallene Klänge, Strukturen und Melodien achten. Statt dessen, sollte ich auf mein Gefühl hören. Nichts anderes macht ja auch der Grossteil der Zuhörenden!

Schlusswort

Puh, war das ein Blog-Beitrag! Der war sehr anstrengend – auch für mich! Ich hoffe, es gibt Personen, die ihn aufmerksam bis zum Schluss gelesen haben. Und für die gibt’s nun auch eine kleine „Belohnung“: in meiner Soundskizze 4 habe ich ganz bewußt außergewöhnliche Klänge zu verwenden – ohne jedoch die Spur des „Konventionellen“ zu verlassen. Über Kommentare bin ich natürlich – wie immer – sehr dankbar!

Soundskizze 4 – Tamping and shredding | Christian F. Drab

Alle Soundskizzen findet Ihr gesammelt in diesem Blog-Beitrag: LINK


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